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TYPO Berlin - Zukunftsmusik für Design und Typografie

Geschrieben von Susann Buchholz | 1. Juni 2016 13:13:00 Z

Design im Zeitalter der Digitalisierung

Die TYPO Berlin ist der grösste jährliche Treffpunkt der internationalen Design-Szene in Europa. Das Thema „Beyond Design - Hallo Zukunft! Und jetzt?“ versprach viel Anregung und Inspiration durch namhafte Designer und Typografen sowie spannende Unterhaltung.

Viel Zukunftsmusik zum Thema Design gab es im Vortrag von Jochen Rädeker „Hello future – goodbye design! Wie die Zukunft Gestalt annimmt“. Kritisch hinterfragte er den Titel der diesjährigen TYPO. In seinem Vortrag fand er Antworten und vor allem Argumente für eine optimistische Aussicht auf die Disziplin Design und den Beruf des Gestalters. Gerade die Digitalisierung in allen Lebensbereichen schafft für Designer ein grosses Betätigungsfeld und eine kreative Spielwiese.

Jochen Rädeker ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der Designagentur Strichpunkt mit Sitz in Stuttgart und Berlin. Mit Leidenschaft für Visuelle Kommunikation und langjähriger Erfahrung im Bereich Branding und Typografie liess er uns teilhaben an seiner Sicht auf den Beruf des Designers als Entscheider und Changemaker. Als Designer ist man nicht Hübschmacher, sondern trägt eine grosse Verantwortung mit seiner Gestaltung gegenüber Auftraggebern und dessen Kunden. Inhalte können anhand von Textgestaltung Meinungen bzw. Haltungen implizieren und den Leser steuern. Design zeigt und erklärt. 80% der Wahrnehmung ist visuell. „Design ist Tiefenpsychologie.“ In der heutigen Gesellschaft, in der die Digitalisierung eine grosse und immer grössere Rolle spielt, geht es darum, Dinge zu kreieren, welche Kommunikation vereinfachen und Marken zu einem Erlebnis machen.

„Das Ende des normalen Brandings,
aber der Anfang der Interaktion“

Bei der Gestaltung einer Marke geht es heute nicht mehr um die Kreation eines starren Corporate Designs, sondern vielmehr um die Gestaltung der Schnittstellen zwischen User und Medium, Mensch und Maschine (Interface Design). Ziel des User Interface Designs ist eine Anwenderschnittstelle zu gestalten, die durch angemessene Handlungsschritte eine optimale Bedürfnis- und Zielerfüllung für einen möglichst breiten Kreis von Nutzern gewährleistet. Markenprägend ist heute die Art der Kommunikation über die unterschiedlichen Kanäle im digitalen Umfeld. Die Marke ist wichtig, aber nicht alles. Eine Markenwelt erobert sich der User heute vor allem  über ein Produkt oder digitale Medien. Hier entscheidet sich, ob sich eine Marke gut anfühlt und Mehrwert schafft. Technik ist präsenter und persönlicher geworden und bietet eine Vielzahl von Markenkontakten in unserem Alltag.

Durch die digitale Transformation stehen längst nicht mehr unzählige gedruckte 100-seitige Design Manuals im Regal der Designer. Corporate Design Manuals sind heute medienneutral und im besten Fall als Code Snippets für alle relevanten Programmiersprachen abgelegt. Diese dienen als Grundlage für Online-Medien, Point-of-Information, Automobil- oder Messedisplays etc.

Neben all diesem technischen Verständnis im Umgang mit Marken und visueller Kommunikation – da sind sich die Redner der TYPO einig – haben gute Designer Spass bei dem was sie tun und sind offen für vielfältige gesellschaftliche und kulturelle Themen. Und wenns drauf ankommt – bei gestalterischen und strategischen Herausforderungen – sind Designer mutig, zeigen Haltung und gehen beherzt Risiken ein.

 „Lettering in the Age of Hip Hop“

Erik Marinovich machte mit seinem Vortrag den ultimativen Einstieg zum Wachwerden am Beginn des 2. Konferenztages an der TYPO Berlin. Hip Hop Hooray.
Erik Marinovich ist Lettering-Künstler, Designer und Mitbegründer des Sketchblogs „Friends of Type“. Er gestaltet u.a. für Nike, Google, Hilton, Facebook, Sonos, The Criterion Collection, Gap und Ford Motor Company. Er beschreibt das Lebensgefühl Hip Hop und wie er mit der Musik seine Leidenschaft zur Typografie entdeckte. Neben Kundenprojekten verschönert er auch Stromkästen und andere graue Orte in seiner Heimatstadt San Francisco mit feinen Graffitis. Typografie ist überall. So sieht er im Alltag auch abseits des Schreibtisches typografische Bilder, zum Beispiel beim Ausziehen vor dem Duschen, wenn sich seine abgestreifte Unterhose wie von selbst zu Buchstaben formt. Das Unterhosen-Alphabet und seine spannende Geschichte findet ihr in Eriks Vortrag „Lettering in the Age of Hip Hop“. Unbedingt anschauen!

 Workshops: Sketchnotes & Lettering

Bei den Workshops gab das Lettering ebenso den Ton an. Neben der Design-Theorie hatten die Teilnehmer hier die Möglichkeit, selbst den Stift oder die Schreibfeder in die Hand zu nehmen. An drei Tagen wurden viele spannende Workshops angeboten. Die Plätze waren begrenzt und der Run auf einen Platz entsprechend gross.

Der Lettering Workshop von Isabel Urbina Peña war rappelvoll. Die gebürtige Venezuelanerin ist Letterer, Grafik- und Type Designerin. Sie lebt und arbeitet in New York. Neben der Gestaltung von Buchcovern entwickelt sie Font Types, unter anderem stammt auch die Schrift Galea Display von ihr.

Lettering als Begriff beschreibt die Kunst des Buchstaben-Zeichnens oder kunstvolles Schreiben. Hierbei geht es nicht ums Schönschreiben sondern ein Inszenieren der Buchstaben und ein hohes Mass an Individualität –Form und Stärke der Buchstaben, Schreibstil und Technik (Feder, Pinsel oder Stift). Beim Lettern steht vor allem das „handwerkliche“ Selbermachen im Vordergrund.

Im Workshop von Nadine Rossa konnte ich meine Sketchnotes Skills vertiefen. Ihre Arbeiten hatten mich vor einem Jahr auf das Thema der visuellen Notizen gebracht. Sketchnotes eignen sich bestens, um Informationen illustrativ, schnell und effizient festzuhalten.

 „Beyond Design - Hallo Zukunft! Und jetzt?“
 

Natürlich gab es noch weitere spannende Vorträge, Diskussionen und Workshops an der diesjährigen TYPO Berlin. Wegweisende Designer, Professoren, Marketingleute, Wissenschaftler, Künstler und Journalisten sprachen über unterschiedliche Ansätze aus den Bereichen Kommunikation und Gestaltung. Die TYPO Konferenz wirkte inspirierend, gab Einblicke in Experimente, förderte den Austausch von Fachwissen und war ein kreativer Spielplatz zum Netzwerken für Kommunikationsprofis und Studenten.

Mit dem diesjährigen Motto „Beyond Design“ widmete sich die TYPO Berlin 2016 dem mentalen Werkzeug der Gestaltung. Es ging nicht um eingefahrene Erzählformen des Grafikdesigns, die heute an jeder Strassenecke billig zu haben sind. Auch nicht um schnell verpuffende Sensationen. Es ging um die Strategie einer verantwortungsvollen Gestaltung. Um das Design der Zukunft und um das Denken des Denkens. Es ging um das, wofür unser Gehirn gemacht ist: Vernetzung, Sprache, Lernen, Interaktion.

Designer inszenieren Dialoge. Zum Beispiel den Dialog einer App mit ihrem Benutzer, einer Website mit dem Besucher, einem Auto mit seinem Fahrer, einer Marke mit ihren Kunden. Designer verwenden handwerkliche und analytische Tools, um Kommunikation so einfach und emotional wie möglich zu gestalten.

Neben all der Zukunftsmusik zum Thema Design nehme ich für mich aus den drei wunderbaren Tagen neue Perspektiven und Blickwinkel zum Designprozess mit. Spannend zu sehen, wie unterschiedlich Designer den Designprozess angehen – die Einen inspiriert von Leidenschaft, Musik und Kultur, Andere gehen sehr analytisch vor und fühlen sich im Bereich der Designforschung zu Hause. Die Arbeitsproben der Gestalter haben eindrücklich gezeigt, in welch unterschiedlichen Bereichen Designer tätig sind und Unternehmen nachhaltig mitgestalten und prägen.

 

Quellen & Links

TYPO Berlin
Website http://typotalks.com

Jochen Rädeker
http://typotalks.com/de/videos/hello-future-goodbye-design/

Erik Marinovich
http://typotalks.com/de/videos/flow-lettering-im-zeitalter-des-hip-hop/

Isabel Urbina Peña
Website http://www.isabelurbinapena.com/

Nadine Rossa
Website http://sketchnote-love.com/